„Die Kunst des Liebens“ hieß der Bestseller, den Erich Fromm 1956 schrieb. Ein schon altes Buch, aber immer noch aktuell. Lieben ist eine Kunst schrieb er, eine Fähigkeit, die man lernen muss. Es geht hier nicht an erster Stelle um Gefühle, sondern um Taten, um Handlungen, die wir stellen, um Dinge, die wir für andere tun.
Es heißt dann auch: „Die Liebe hat viele Gesichter.“ Es gibt viele Formen von Lieben: die Liebe von Eltern zu ihren Kindern, die anders ist als die Liebe von den Kindern zu den Eltern, anders als die Liebe zwischen Geschwistern, anders als die Liebe zwischen Mann und Frau, die wieder anders ist als die Liebe zwischen Freunden oder Freundinnen. Aber alle diese Liebensarten haben etwas gemeinsam: Sie sind Liebe zum Nächsten. Immer geht es darum, dass ich besorgt bin um das Wohl des anderen, dass ich in Wort und Tat tue, was für ihn persönlich gut ist.
Jesus sagt dann auch in seiner Bergpredigt: „Alles, was ihr von anderen erwartet, das tut auch für sie.“ Das Gute, das ich für mich erwarte, soll ich auch anderen zukommen lassen. Behandle andere so, wie du selbst von ihnen behandelt werden möchtest. Den Mitmenschen lieben „wie sich selbst“. Etwas für das Wohl des anderen tun, so wie ich gerne habe, dass andere etwas für mein Wohl tun. Das kann ich sogar, wenn der andere mir nicht so direkt sympathisch ist und ich keine Gefühle der Zuneigung und Sympathie für ihn empfinde. Den anderen lieben kann deswegen auch anstrengend sein. Aber ich brauche nicht jeden zu umarmen. Es kommt darauf an das Gute, das ich dem anderen tun kann, auch zu tun. „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ sagt Jesus.
Das Überraschende ist nun, das Jesus dieses Gebot gleichstellt mit dem „größten und wichtigsten Gebot“: »Liebe den Herrn, deinen Gott, von ganzem Herzen, mit ganzem Willen und mit deinem ganzen Verstand!“ Lieben hat sowohl mit dem Herzen als auch mit dem Willen und dem Verstand zu tun. Mein ganzes Ich ist da involviert.
Nach Jesus gehören Gottes- und Nächstenliebe unverbrüchlich zusammen. Im ersten Johannesbrief heißt es dann auch: „Wenn jemand sagt: Ich liebe Gott, aber seinen Mitmenschen hasst, ist er ein Lügner, denn wer seinen Mitmenschen nicht liebt, den er sieht, kann Gott nicht lieben, den er nicht sieht.” Wir lieben Gott nicht wirklich, wenn wir nicht die lieben, die er liebt. Das ist, vereinfachend gesagt, wie der Spruch: „Deine Freunde sind meine Freunde.“ Nächstenliebe kann man nicht von Gottesliebe trennen. Ja, sie macht meine Gottesliebe erst glaubwürdig! Durch meine Nächstenliebe bestätige ich meine Gottesliebe.
Trotzdem hat meine Liebe zu Gott einen anderen Charakter. Ich kann doch Gott nicht lieben, indem ich ihm - so wie dem Mitmenschen - Gutes tue. Meine Liebe zu ihm entsteht und wird immer größer und intensiver, wenn mir immer mehr bewusst wird und ich mich davon betroffen fühle, dass Gott mich liebt, dass er mich bedingungslos annimmt und mein ganzes Wohl will, ohne dass ich es „verdient“ habe
Dann spüre ich in mir ein unendliches Gefühl der Dankbarkeit Gott gegenüber. Und diese Dankbarkeit lässt in mir ein Grundvertrauen zu Gott entstehen. Vielleicht können wir sagen: Unsere Liebe zu Gott besteht hauptsächlich aus Dankbarkeit ihm gegenüber. Sie ist unsere Antwort auf seine Liebe zu uns. Eine Dankbarkeit mit meinem ganzen Herzen, mit meinem Verstand, mit meinem Willen, mit allem was in mir ist, mit meiner ganzen Persönlichkeit.
Mitten im Alltag werde ich dann auch an ihn denken, mich fragen, was er mir zu sagen hat, hier und jetzt. Ich werde mich auf den Weg zu ihm machen, im Beten, im Bibellesen. Ja, ich zeige ihm meine Liebe, indem ich mir z.B. am Sonntag für ihn Zeit nehme, Gottesdienst feiere. Dieses Bedürfnis entspringt aus meiner Liebe zu Gott.
Diese Dankbarkeit und Freude über Gottes Liebe zu mir machen mich auch fähig den Nächsten, den Mitmenschen, zu lieben - wie mich selbst. Ich muss ja keine Angst zu haben, mich selbst zu verlieren, ein Risiko einzugehen, zu kurz zu kommen, weil ich mich schon gehalten, getragen, geliebt weiß von Gott, dem Urgrund aller Dinge.
Das alles Entscheidende für unser Leben - das, was unser Leben gelingen oder scheitern lässt - ist, wenn Gott mich am Ende meines Lebens fragt: „Hast du in deinem Leben genügend geliebt?“, und ich dann antworten kann: „Ich habe es versucht.“